Eine jüdische Geschichte im Jahr der Olympischen Sommerspiele 1936

18.03.2015 Historisches Kommentare geschlossen

Das Schicksal des Henry Cohn-Bloch

Bei unseren Recherchen zur Entstehungsgeschichte des Flussbades-Lichtenberg und des Stadtbades-Lichtenberg sind wir auf eine zunächst unscheinbare Postkarte nebst beigefügten Bearbeitungsvermerk gestoßen.

Legende:
18.06.1936 Karte geschrieben
19.06.1936 Eingang Städtische Bäderverwaltung
20.06.1936 Eingang Gesundheitsamt
23.06.1936 Antwort Gesundheitsamt
24.06.1936 Zur Kenntnisnahme an Bäderverwaltung – an Bezirksbürgermeister und weiteren 2 Personen
25.06.1936 Antwort vom Stadtbad Flussbad an Herrn Bloch „Nichtariern ist nach wie vor der Zutritt zum städtischen Flussbad Lichtenberg nicht gestattet.“

Wie man hier den Unterlagen entnehmen kann, hat der gesamte zuständige Verwaltungsapparat von den Vorgängen um die systematischen Erniedrigungen an jüdischen Mitbewohnern gewusst.Und es ist auch kein Wunder, denn der überwiegende Teil der Beamten und Mitarbeiter in den Verwaltungen mussten sich verpflichten dem nationalsozialistischen Gedankengut treu zu dienen.

Die Grundlagen für derartige Entscheidungen wurden bereits mit der Machtergreifung der National-sozialisten am 30. Januar 1933 gelegt. Mit einem Fackelzug der auch durch das Brandenburger Tor führte und mit triumphierenden Kundgebungen abschloss, feierten die Nationalsozialisten das Ende der Weimarer Republik. Am selben Tag hatte der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der NSDAP „Adolf Hitler“ zum Reichskanzler ernannt. Ab diesem Tag begann der Terror an allen politischen Gegnern. Unter der Parole „Kampf dem Marxismus“ begann man die Kommunisten, Sozialdemokraten und jüdischen Abgeordneten mit unzähligen Übergriffen aus dem Abgeordnetenhaus zu vertreiben. Mit der Reichstagswahl am 5. März 1933 hatten die Nationalsozialisten leichtes Spiel eine Mehrheit mit ähnlich gesinnten Parteien zu bekommen. Denn die überwiegende Mehrheit der Kommunisten und Sozialdemokraten waren verhaftet, ins Exil geflüchtet oder lebten im Untergrund. Fortan begann auch die rechtliche Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Am 1.April 1933 wurde auf Anweisung „Adolf Hitlers“ zum Tag des Judenboykotts aufgerufen. Die Propaganda der neuen Machthaber sorgte dafür, das überall Schilder aufgehängt wurden mit der Aufschrift „Deutsche, kauft nicht bei Juden“, Schaufensterscheiben wurden mit der Aufschrift „Jude“ beschmiert. SA-Männer hinderten Kunden, Patienten oder Klienten am Betreten von Geschäfts- und Büroräumen. In den folgenden Monaten wurden diverse Gesetze verabschiedet die letztendlich die Entfernung jüdischer Beamter und Wissenschaftler aus allen öffentlichen Diensten zur Folge hatte.
Der Höhepunkt der Diskriminierung wurde zunächst durch die Nürnberger Gesetze vom September 1935 gesetzt. Zum einen entstand das „Reichsbürgergesetz“ zum anderen das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Am 21.Dezember 1935 erließ man die „Zweite Verordnung zum Reichsbürgergesetz“, mit dieser Verordnung wurde die freie Berufsausübung ausgeschlossen und damit die jüdische Bevölkerung gänzlich gesellschaftlich an den Rand gestellt. Die Gesetzgebung kannte kaum Bereiche die nicht mit Verboten für die jüdische Bevölkerung in Frage kam.
In der Weltöffentlichkeit wurden diese Entwicklungen in Deutschland mit sehr viel Empörung und Verachtung aufgenommen. Anbetracht der Vergabe der Olympischen Spiele 1936 an Deutschland, die am 13.Mai 1931 im Sitz des IOC in Lausanne statt fand, entwickelte sich ein regelrechter Boykott-Gedanke der unter der Leitung der USA vorangetrieben wurde. Man hatte doch erhebliche Zweifel, an der Einhaltung der „Olympischen Charta“ durch Deutschland. Auf der 32. Tagung des IOC in Wien verpflichtete sich die NS-Regierung, die olympischen Regeln einzuhalten. Sie versprach zudem, allen Rassen und Konfessionen den freien Zugang zu allen Olympiamannschaften. In der Praxis sah das natürlich ganz anders aus. Obwohl die Propaganda des NS-Regierung nach außen hin so tat als ob alle jüdische Athleten für die deutsche Olympiamannschaft vorgesehen seien, handelte man aber ganz anders. Kein jüdischer Athlet wurde letztendlich in die deutsche Olympiamannschaft aufgenommen.
Für viele in Deutschland lebende jüdische Mitbewohner entstand der Eindruck, als wenn eine gewisse Abkehr zu den in der Vergangenheit beschlossenen Gesetze von statten ging. Sie sollten sich aber noch sehr schwer getäuscht sehen.
Für Herrn Bloch muss jedenfalls diese Situation genügt haben um die o.g. Postkarte zu verfassen.

Wir haben jedenfalls dies zum Anlass genommen um über die weiteren Lebensumstände des Herrn H. Bloch zu recherchieren.Anhand der derzeitigen Aktenlage konnte Folgendes ermittelt werden:
Herr Henry Cohn-Bloch wurde am 11.07.1874 in Posen geboren und wohnte zuletzt in der Landsberger Str. 8 (heute: Landsberger Allee 8 in 10249 Berlin, gegenüber dem Volkspark Friedrichshain) als Kaufmann.
Herr Henry Cohn-Bloch starb im Alter von 64 Jahren am 22.07.1938 in Kolberg und wurde am 29.07.1938 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee beigesetzt. Seine Frau Paula Cohn -Bloch geb. Bloch meldete die Beerdigung an.
Bis jetzt konnten wir leider keine Anhaltspunkte zur Todesursache finden. Aus Datenschutz -rechtlichen Gründen verweigerte man uns bis jetzt weitere Informationen. Aber eins ist auffällig, Herr Henry Cohn-Bloch befand sich im Juli 1938 in Kolberg.
Kolberg galt bis weit in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts als Ostseekurort der sich als weltoffen und modern darstellte. Jüdische Kaufleute, Stifter, Mäzene, Ärzte und Bürger schafften Anfang des 20. Jahrhunderts die Voraussetzungen für die Entwicklung der Kureinrichtungen. Von den am meisten involvierten Stiftern ist Nachmann Oppenheim, der viele Kurhospitäler finanzierte und James Simon zu nennen, der 1910 das 3. Kurhospital „Kaiser und Kaiserin Friedrich – Berliner Sommerheim für arme und erholungsbedürftige Kinder der Reichshauptstadt“ stiftete.

Auch hier wurde ab 1933 die Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung vorgenommen. Besonders im Jahr 1938 verschlechterten sich die Existenzbedingungen für die deutschen Juden und es kam ständig zu Übergriffen an den jüdischen Bewohnern- und Kurgästen.Ob Herr Henry Cohn-Bloch eines natürlichen Todes starb oder ob er eventuell das Opfer von Angriffen wurde konnte bislang jedoch nicht festgestellt werden.

Was aber noch recherchiert wurde sind die Lebensumstände seiner Ehefrau Frau Paula Cohn-Bloch. Sie wurde am 05.03.1879 ebenfalls in Posen geboren und emigrierte nach dem Tod ihres Mannes am 16.07.1939 nach den Niederlanden und obwohl bereits in den letzten Monaten viele jüdische Flüchtlinge als unerwünschte Ausländer abgewiesen wurden reiste Frau Bloch dort hin. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 10.Mai 1940 galt auch die Niederlande nicht mehr für jüdische Mitbewohner als sicher. Im Gegenteil es wurden nun auch hier Lager eingerichtet um die in den Niederlanden lebenden Juden zu sammeln. Am 13.04.1943 wurde Frau Bloch inhaftiert und ins Sammellager Westerborg verbracht. Das Sammellager Westerborg war für die SS ein Durchgangslager von dem aus überwiegend Juden, Sinti, Roma und Widerstandskämpfer deportiert wurden. Jeden Dienstag fuhren Güterzüge in Richtung Auschwitz, Bergen-Belsen, Sobibor und Theresienstadt. In den Jahren von 1942-1944 wurden aus den Niederlanden 107000 Häftlinge deportiert und nur ca. 5000 überlebten den 2. Weltkrieg. Anne Frank wurde ebenfalls am 8.08.1944 in Westerborg inhaftiert und am 03.09.1944 nach Auschwitz-Birkenau verbracht.
Am 20.07.1943 wurde Frau Paula Cohn-Bloch ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort am 23.07.1943 für Tod erklärt.

Das Vernichtungslager Sobibor liegt im heutigen Dreiländereck Polen-Weißrussland-Ukraine. Es wurde 1942 während der Besetzung Polens durch die deutschen Truppen errichtet und diente neben den Lagern Belzec und Treblinka als Vernichtungslager. Nach Schätzungen wurden im Vernichtungslager Sobibor bis zu 250.000 Juden in Gaskammern ermordet, davon direkt aus den Niederlanden ca. 33.000. Nach Ende 1943 wurde das Lager nicht weiter genutzt, sondern dem Erdboden gleichgemacht. Man wollte offensichtlich sämtliche Beweise für die Existenz der Vernichtungslager verwischen. Heute befindet sich auf dem Gelände eine kleine Gedenkstätte zur Erinnerung an die dort zu Tode gekommen jüdischen Mitbewohner von ganz Europa.

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